Eigenes von Kerstin Heine
Juni 2021
Seit einer Stunde zerrte die röhrende Motorsense des Nachbarn an ihren Nerven. Es war Samstagmorgen und die Kakophonie des Gärtner-Orchesters in der Nachbarschaft ihr bestens vertraut. Wie immer versuchte sie, die ohrenbetäubende Geräusch-Kulisse auszublenden und mit Verständnis zu umhäkeln. „Die Leute arbeiten während der Woche und können sich ihren Gärten nun mal nur am Wochenende widmen“, tröstete sie sich wie jedes Mal. Und klar, für die geräuschintensiven Arbeiten war der Sonntag tabu. So blieb der Samstag als allen gemeinsames Zeitfenster fürs Rasenmähen, Heckenschneiden, Laubblasen, Terrasse-Kärchern und Gestrüpp-Fadenmähen. Hörten die einen auf, fingen die anderen an. Ab und zu ein Solo.
Sie selbst hatte ihre beinahe geräuschlosen Arbeiten bereits in den frühen und noch frischen Morgenstunden erledigt: Die vom Gewitterregen des Vorabends schwer gewordenen und auf die benachbarten Stauden drückenden Blütentriebe des Frauenmäntelis hatte sie zurückgeschnitten, die in voller Blüte stehenden, auseinandergefallenen Wiesensalbeistauden zusammengebunden, Schnecken abgesammelt, nach den Zucchetti-, Gurken- und Kürbis-Setzlingen geschaut, die Tomaten mit Brennessel-Jauche gefüttert und einige unerwünschte Kräuter aus den Beeten gezogen.
Das war genug für heute gewesen, denn ihr war es zu heiss geworden. Bereits um 9 Uhr brannte die Sonne mit grosser Intensität in den prächtigen Blumengarten. Nun sass sie von ihrem leuchtend-gelben Sonnenschirm beschattet an ihrem Lieblingsplatz vor den Himbeer-Spalieren und genoss den Frieden. Den Frieden, der übrigblieb, wenn sie die nachbarlichen Aktivitäten ausblendete.
Den Frieden der von blauer zu violetter Blüte gaukelnden Schmetterlinge und der quirlig wuselnden Bienen und Hummeln. Den Frieden des Blütenfarbenmeers, auf dem ihr entspannter Blick ruhte. Und den des sanften Sommerwindes, der ihre erhitzte Haut kühlte. Den Frieden der atemberaubenden Flugschau, die ihr Milane, Bussarde, Rotschwänzchen, Möwen, Stare, Krähen, Schwalben, Amseln, Kormorane und Buntspechte direkt über ihr und der angrenzenden Hochstamm-Matte boten. Und auch den Frieden der gut gelaunten Velo-Gruppen, die lachend und schwatzend den Gartenzaun passierten. Und den Frieden, den die zunehmende Sommerhitze über sie brachte, indem sie sie langsam innerlich und äusserlich aufweichte.
Und die Rasenmäher und Motorsensen verstummten.
© Kerstin Heine