Eigenes von Kerstin Heine
Oktober 2021
Wehmütig blicke ich auf das graue Auf-und-Nieder, das trübe von meinen Füssen bis in die unendliche Weite schaukelt. Über mir düster wallendes Wabern. Um mich melancholisches Rauschen durchbrochen von heiseren Schreien. Warum in aller Welt bedrückt mich der Gedanke an den Abschied von diesem Ort so?
Vielleicht ist es der Gedanke daran, dass genau dieser Ort mich gestern noch in strahlendem Blau-Gold umleuchtete, weisse Schaumpferde mir mit wehenden Mähnen vom Horizont entgegengaloppierten und eine Azurkuppel sich über mir spannte. Gestern klang das Rauschen nach Freiheit und die Schreie nach Lebensfreude.
Gerade dieser Wandel, hier oft unvorhersehbar, fordert mich heraus und fasziniert mich gleichzeitig. Er lässt mich wachsen und meine verschiedenen Wesensanteile sichtbarer werden.
Wenn ich mich der Veränderung ohne Vorbehalte hingeben kann – ohne Festhalten am Gestern oder Heute – macht sie mich reicher und stärker. Und wenn ich die Vergänglichkeit hinnehme, weil sie zum Leben gehört wie die Zerbrechlichkeit zum Ei. Weil das Vergehende der Kompost des Kommenden ist, das ich noch nicht kenne.
Warum macht es mir manchmal Angst, wenn ich noch nicht weiss, was kommt, und ich das Bekannte loslassen muss? Wo ist dann mein Vertrauen in das Werden, das Entstehen, den Wandel? Mit diesen Fragen im Kopf finde ich ein Kraftbild:
Die wunderschöne Spirale, die ich auf meinen letzten Strandmetern entdecke, gibt sich ihrer Vergänglichkeit hin. Schon lecken die ersten Wellen an ihr – sie bleibt entspannt in den Sand gestreckt liegen. Wann sich ihre Form auflöst und was mit ihren Teilen geschieht, belastet sie nicht. Sie lässt es geschehen. Sie wird vergehen und zu etwas Neuem werden – oder bleiben und sich nur dem Auge entziehen. Je nach Sichtweise.
Mit diesem Bild, frischem Tatendrang und heiterer Gelassenheit kehre ich dem Meer eine Zeit lang den Rücken und wende mich dem Land und seinen Geschenken zu.
© Kerstin Heine