Eigenes von Kerstin Heine
Juli 2021
Immer wieder falle ich darauf herein, auch wenn ich es doch eigentlich besser weiss: Ich vergleiche mich mit anderen. Und fange augenblicklich an, an mir zu zweifeln. Weil ich bei diesen Vergleichen in der Regel schlecht abschneide.... Weil ich dazu neige, mich mit Menschen zu vergleichen, die höher, schneller, weiter können als ich. Die totale Überflieger sind, super kompetent, quasi allwissend, charmant, gutaussehend, fliessend fünfsprachig, unglaublich erfolgreich, glasklar in ihren Entscheidungen, mit Einkommen in sechsstelligen Bereich, ....
Kommt dir das bekannt vor?
Diese Art des Vergleichens tut nicht gut! Und eigentlich wissen wir das ja auch. Warum passiert uns das dann trotzdem andauernd? Warum müssen wir ständig auf der Hut sein, aktiv Gegensteuer geben und uns selbst wieder zurück in die aufrechte Haltung coachen?
Ich vermute eine wesentliche Ursache in der Funktionsweise unseres Gehirns. Unser interner Supercomputer nutzt das Vergleichen als unsere vielleicht ursprünglichste Lernstrategie. Schon der Säugling lernt schnell, welches Verhalten zu welchen Reaktionen aus dem Umfeld führen. Das Kleinkind lernt durch Kopieren von Verhaltensweisen von Bezugspersonen und anderen Modellen (nicht immer zu deren Freude...). Und Erwachsene entwickeln z. B. neue Fähigkeiten (oder verbessern bestehende) durch den Vergleich zwischen vorhandenem und gewünschtem Können.
Das Vergleichen von verschiedenen Zuständen, Verhaltensweisen und Ergebnissen ist also eine wichtige Grundlage des Lernens. Somit ist uns das Vergleichen im Wortsinne in die Wiege gelegt und gar nicht völlig vermeidbar. Auch wenn uns wohlmeinend immer wieder geraten wird, nicht zu vergleichen.
Gemeint ist vermutlich eher, keine „falschen“ Vergleiche anzustellen. Wenn wir uns z. B. mit Menschen vergleichen, die komplett andere Voraussetzungen und Rahmenbedingungen haben als wir selbst, dann „schlecht“ abschneiden und uns deshalb schlecht fühlen – dann ist das ein falscher Vergleich. Er bringt uns nicht weiter in unserer Entwicklung, sondern hemmt uns eher durch Frustration und Selbstzweifel.
Wenn wir aber für uns attraktive Eigenschaften einer anderen Person in den Blick nehmen und die Differenz von IST- und Wunsch-Zustand als Antrieb für eigene Entwicklungsschritte nutzen, dann kann dies ein hilfreicher Vergleich sein. Er kann einen Zug in Richtung des gewünschten Zustandes bewirken, der uns auf unserem Weg unterstützt.
Der Schlüssel ist für mich hier die Bewertung. Eine Bewertung erfolgt immer anhand definierter Kriterien. Welchen Massstab lege ich an, wenn ich vergleiche? Und passt dieser Massstab für mich, meine Situation, meine Rahmenbedingungen, meine Ressourcen und Ziele. Wenn nicht, dann ändere ich den Massstab, die Kriterien, verkleinere die Distanz zwischen IST und SOLL oder verzichte gleich ganz auf diesen Vergleich und suche mir andere, hilfreichere Modelle.
SO ist dann das Vergleichen in meinem Leben wieder eine tolle Sache. Nie vermeidbar, aber immer steuerbar.
© Kerstin Heine